Unseren Anspruch, Brücken zu bauen, haben wir am dritten Festivaltag auf der Hobrechtbrücke buchstäblich mit Leben gefüllt. Die Brücke quert den Landwehrkanal und verbindet Kreuzberg und Neukölln, zwei Stadtteile mit zum Teil sehr unterschiedlichen Lebensrealitäten und Stadtkulturen. In genau dieser kontrastreichen Umgebung wollten wir Aufmerksamkeit erregen und den Fluss des Alltags unterbrechen. Bunt, verspielt und humorvoll, mit einer Bühne, Ständen und einer Vielzahl von Aktionen, sodass Anwohner:innen und Passanten neugierig werden: Was passiert da, was machen die, geht mich das etwas an?
Von dieser Neugier ausgehend, wollten wir Brücken bauen zu einem Verständnis der größeren Zusammenhänge, die in der Donut Ökonomie verhandelt werden. Dabei ging es nicht um eine Erzählung über unsere Vorstellung vom Guten Leben, sondern um das Gespräch mit Gästen und Passanten.
Manche Vorbeikommenden wunderten sich über den Festival-Slogan: “Mehr Zusammen Gemeinsam”. Eine vermeintliche Tautologie, eine Phrase, die kein vollständiger Satz ist, und mehr Fragezeichen hervorruft als ein sofortiges Verstehen. Doch genau das ist unser Verständnis der Donut Ökonomie: Es geht ums Fragen stellen, nicht ums Antworten liefern.
Wir wollten die Besucher:innen nicht zuerst intellektuell, sondern vor allem emotional erreichen, zu allen Sinnen sprechen und eine kindliche, bedingungslose Freude hervorrufen. Und so haben wir oft in staunende Gesichter geblickt, wenn wir Essen an unserem Donut-Happen-Stand verschenkt haben. “Wie, ihr habt hier so leckere Sachen und wollt dafür keinen Gegenwert haben?” Doch, wollen wir: nämlich das weitere Reflektieren und Weitertragen der Frage “was ist das gute Leben für mich und wie hängt es mit dem guten Leben für andere zusammen”. Die verschiedenen Antworten haben wir auf dem “Stoff des Guten Lebens” gesammelt.
Am Siebdruck-Stand haben wir bedruckte T-Shirts, Stoffbeutel und andere Textilien verschenkt. Wer wollte, konnte eigene Kleidungsstücke mit unserem Logo oder dem Festival-Motto bedrucken und bei der gemeinsamen Aktivität die Gelegenheit zum Gespräch nutzen. Alle, die mehr wissen wollten und warum wir das alles machen, konnten einem Mini-Vortrag zur Essenz der Donut Ökonomie lauschen. Anregungen zu einem neuen Wirtschaftsdenken vermittelte auch Matthias Kasper von der Gemeinwohl Ökonomie Berlin-Brandenburg.
Das Thema erneuerbarer Energien griffen wir spielerisch mit einem Seifenblasen-Fahrrad auf. Damit konnten Große und Kleine andere Besucher:innen mit Muskelkraft zur Seifenblasenjagd anstiften. Ziel war es, mit den Aktionen einen Impuls der Erinnerung an diesen Nachmittag zu setzen. Eine kleine Geschichte, die weiter wachsen kann, in einer zukünftigen Begegnung mit der Donut Ökonomie und den Fragen nach dem Guten Leben und was es von jedem einzelnen dafür braucht. In einer Kinderecke konnten die Kleinsten ihrer Phantasie freien Lauf lassen und malen, puzzlen, kleben, während die Eltern ihre Aufmerksamkeit dem Bühnengeschehen widmen und sich z.B. von der Musik des Singer-Songwriters Christian Hansen berühren lassen konnten.
Auf unsere Bühne haben wir Menschen eingeladen zu erzählen, wofür sie brennen und wie sie ihre Zeit und Energie für eine lebenswerte Zukunft einsetzen. Es wurde deutlich: jeder kleine oder große Schritt in Richtung eines Wandels zum Besseren lohnt sich. Denn wer anfängt zu gehen stellt fest, dass er oder sie nicht allein ist, sondern Teil einer Aktionsgemeinschaft, die zusammen Lösungen findet und Wandel gestaltet.
Die Performer von vollehalle zeigten, wie die Orientierung an verschiedenen Werten das eigene Handeln und die Zukunftserwartungen prägen. Sie spielten verschiedene Zukunftsszenarien durch, von denen einige für eine Lebensweise stehen, die mit den Ressourcen unseres Planeten nicht vereinbar ist. Demgegenüber gibt es Entwürfe eines suffizienten und auf Regeneration ausgerichteten Lebens, die z.T. einen radikalen Lebenswandel erfordern. Kai Schächtele, Martin Oetting und Michael Bukowski eröffneten den Raum für Gespräche und Diskussionen darüber, in welchem der Szenarien sich die Zuhörer:innen selbst gerade verorten.
Anna Wasilewska von Litter Picker hielt eine leidenschaftliche Rede über den Zusammenhang von Müll und Umweltverschmutzung. Passend zum World Clean Up Day schlossen sich ihr spontan Freiwillige an, um gemeinsam die Brücke und das angrenzende Ufer vom Müll zu befreien.
Die benachbarten Kieze berichteten über ihre hyperlokale Arbeit vor der eigenen Haustür und teilten ihr Wissen, wie man Verwaltungshürden nehmen und z.B. eine Blumenwiese, einen “Dorfplatz” als Treffpunkt für alle oder eine (temporäre) Spielstraße einrichten kann. Der Reichenberger Kiez stellte sein vom Bezirk bereits angenommenes Konzept für einen Kiezblock vor, Aktive aus Reuterkiez und Luisenstädter Kiez sammelten Unterschriften von Anwohner:innen, um ebenfalls einen Kiezblock-Antrag einreichen zu können. Und die Initiative Kiezconnect bewarb ihr Konzept von #Kiezdemokratie, mit dem sie durch Moderation Offener Versammlungen das Miteinander-Gestalten des unmittelbaren Lebensraums unterstützen. Sie alle sind ermutigende Beispiele für das gegenseitige Voneinander Lernen, das für aktivistisches Handeln so unverzichtbar ist.
Unterschriften sammelte auch die Initiative Klimaneustart für ihre Volksinitiative mit dem Ziel, Berlin bis 2030 klimaneutral zu machen. Mitinitiator Felix Nasser begeisterte mit einer enthusiastischen Rede und erläuterte, wie die Initiative mit überzeugenden Ideen und der Zusammenarbeit vieler unterstützender Organisationen und Helfer:innen politische Hebel für eine klimaneutrale, sozial-gerechte Stadt in Gang setzt. Die Kraft zielgerichteter, gut organisierter und mit Humor agierender Initiativen “von unten” (Bottom-up) zeigt sich in dem ebenfalls per Volksinitiative geforderten und mittlerweile umgesetzten Berliner Klimabürgerrat.
Cléo Mieulet von der Initiative Transformation Haus und Feld erzählte von der Schaffung eines Lernortes im ehemaligen Flughafen Tempelhof, an dem Menschen mit praktischen Kenntnissen und Fähigkeiten ausgestattet werden, um für die zukünftigen Herausforderungen gewappnet zu sein. Die Mitinitiatorin des Supercoop, Johanna Kühner, stellte den ersten deutschen kooperativen Supermarkt vor. Das Projekt will ein neues, gemeinschaftlich geführtes Supermarkt-Wirtschaften umsetzen, in dem Mitglieder, Lieferanten und Produzenten ein ehrliches und respektvolles Vertrauensverhältnis pflegen und gemeinsam Verantwortung dafür tragen, gesunde und günstige Nahrungsmittel anzubieten. Khushboo Mallik vermittelte einen Einblick in die international agierende Studierendenorganisation oikos, die in der Wirtschafts- und Management-Ausbildung einen klaren Fokus auf ökologisch nachhaltiges Wirtschaften legt.
Im Interview erzählte Lu Yen Roloff in beeindruckender Weise von ihrer Freien Kandidatur für den Bundestag. Sie initiierte die Bewegung #einfachmachen, um für eine Politik ohne Partei zu werben, die dem eigenen Gewissen verpflichtet ist. Ihr Programm zielt klar auf das 1,5-Grad-Limit des Pariser Klimaabkommens, stellt das Gemeinwohl in den Vordergrund und baut somit auf den Prinzipien der Donut Ökonomie auf. Die Zuschauer:innen erfuhren viel über die Herausforderungen, Menschen zu aktivieren und zu organisieren, um für ihre politischen Interessen einzustehen – und warum es sich auch dann lohnt, wenn es nicht bequem ist.
Der Tag auf der Brücke neigte sich schon fast dem Ende, als Extinction Rebellion mit der Performance Discobedience, einem Bekenntnis zum Überleben, noch einmal die Menschen aktivierte. Ihr Tanz als Ausdruck der Freude am Leben und seiner schützenswerten Vielfalt steckte an.
Zum Ausklang nahm uns der Autor des Buches Utopia 2048, Lino Alexander Zeddies auf eine Imaginationsreise mit. Vor unserem inneren Auge ließ er das Berlin im Jahr 2048 entstehen, in dem wir unser Ziel einer gerechten und lebenswerten Welt erreicht haben: Wir gehen durch grüne Straßen, mit sauberer Luft und ohne Motorenlärm, wir begegnen entspannten Menschen, die sich für das Wohl ihrer Mitmenschen, jung wie alt, interessieren und respektvoll miteinander umgehen, gemeinsam urbane Gärten pflegen, sich für die Regeneration der Natur verantwortlich fühlen und sich mit einem Grundeinkommen keine Sorgen über Armut und gesellschaftliche Ungleichheit machen müssen.
Wir konnten sehen: viele Instrumente für ein sicheres und gerechtes Lebens für alle innerhalb der planetaren Grenzen haben wir schon in der Hand. Wenn noch mehr Menschen anfangen sie zu nutzen, wird aus der Vision Realität.
Mehr Zusammen Gemeinsam.